Ein Mann fiel von einer Klippe. Beim Hinunterstürzen packte er den Zweig eines kleinen Baumes. Dort hing er nun zwischen dem Himmel und den dreihundert Meter tiefer liegenden Felsen, wohl wissend, dass er sich nicht viel länger würde festhalten können.
Plötzlich kam ihm eine Idee. „Gott“, rief er, so laut er konnte. Schweigen, niemand antwortete.
„Gott“, schrie er noch einmal. „Wenn es dich gibt, rette mich, und ich verspreche, dass ich an dich glauben und andere glauben lehren werde.“
Wieder Schweigen. Dann ließ er den Zweig vor Schreck beinahe los, als eine kräftige Stimme über den Canyon dröhnte:
„Das sagen sie alle, wenn Not am Mann ist.“
„Nein, Gott, nein“, rief er laut, nun etwas hoffnungsvoller geworden. „Ich bin nicht wie die anderen. Ich habe ja schon begonnen zu glauben, merkst du das nicht, ich habe ja schon deine Stimme vernommen. Nun muss du mich bloß retten, und ich werde deinen Namen bis an die Enden der Welt verkünden.“
„Gut“, sagte die Stimme, „ich werde dich retten. Lass den Zweig los.“
„Den Zweig loslassen?“, schrie der verzweifelte Mann. „Hältst du mich für verrückt?“
aus: Ewald Müller (Hrsg.): Der Dieb im Wahrheitsladen. Verlag Herder, Freiburg im Breisgau.