Menschenrechte für das Alter


Arbeitskreis der Katholischen Seniorenarbeit Baden-Württemberg

„In Würde alt werden – ein Menschenrecht“:

 

 

Menschenrechte für das Alter

 

 

 

1.   Ich möchte älter und alt werden dürfen, so wie ich bin, als ganzer Mensch. Ich möchte meine Geschichte leben dürfen ein ganzes Leben lang. Mein Alter soll mir nie als Defizit angerechnet werden. Ich möchte we­der dümmer noch weiser sein müssen, als ich bin. Ich möchte, dass man mir bis in meine letzten Stunden hinein das Recht zugesteht mich zu verändern.

 

2.   Ich brauche das Gespräch mit Jüngeren und Älteren. Niemand hat das Recht, mir für mein Älterwerden Vorschriften zu machen. Ich möchte selbst entscheiden, was für mich Glück ist. Ich möchte mir das erhalten, was mir löhnend erscheint und nicht das, was andere von mir erwarten.

 

3.   Das Recht, zu experimentieren, neue Erfahrungen zu machen, neue Bezie­hungen einzugehen und aufzubauen, ist an kein Lebensalter gebun­den. Ich möchte es beanspruchen, ohne als Ausnahme oder Außen­seiter hingestellt zu werden. Wir müssen Orte schaffen, wo Begeg-nun­gen im wirklichen Austausch, ohne Bevormundung stattfinden kön-nen.

 

4.   Die Gleichwertigkeit aller Lebensalter muss sichergestellt werden, d.h. für die zweite Lebenshälfte gleiche innere Achtung, gleiche Äußere Anerken­nung. Darum möchte ich dort Zugang haben und gehört wer­den, wo Entscheidungen getroffen  und Fragen diskutiert werden, die alle betref-fen, d. h., ich möchte weder als Randsiedler noch als Betreuungs­fall in Kirchengemeinde oder politischer Gemeinde betrach­tet werden, son-dern als weiterhin mündige/r Bürger/in.

 

5.   Ich beanspruche das Recht auf Gestaltungs- und Mitsprachemög-lichkei­ten, wie sie meinen Kräften und Fähigkeiten angemes­sen sind. Sowohl in der Lebensmitte als auch beim Erreichen der Altersgrenze gehen neue Türen auf. Ich möchte von meiner Umge­bung nicht daran gehindert werden, die neue Muße und Freizeit zu genie­ßen oder einen Neuanfang zu wagen.

 

6.   Zu den Menschenrechten gehört eine nicht nur minimale, sondern nicht zu sehr vom früheren Lebensstandard abweichende materielle Siche­rung. Diese ist in unserer Gesellschaft noch keineswegs für alle ge-währleis­tet. Ich möchte mich dafür wehren, dass sich das ändert.

 

7.   Ich möchte weder beneidet werden wegen meiner „Dauerferien“, noch bemitleidet, weil ich mir nicht mehr so viel leisten kann oder will. Ich möchte Zusammen mit Zeitgenossen meine Bedürfnisse und Gefühle, auch jene des Unmuts äußern, um Veränderungen zu erreichen.

 

8.   Ich beanspruche das Recht auf meinen eigenen Körper. Ich möchte selbst entscheiden können, wie viel medizinische Hilfe ich brauchen will, und wenn ich das nicht mehr selbst entscheiden kann, möchte ich ei­nem mir nahe stehenden Menschen dieses Recht abtreten und nicht ei­ner Institution. Auch ein Mensch, der total von der Hilfe anderer abhän­gig ist, bleibt ein Mensch, über den nicht verfügt werden darf wie über eine Sache.

 

9.   Die moderne Industriegesellschaft hat dem älteren und alten Menschen seine frühere Rolle genommen. Ich möchte mitarbeiten an einer Gesell­schaft, die nicht nur auf Profit, Wohlstand und Besitz ausgerichtet ist. In mei­nem Bestreben, Freiräume zu schaffen und aus dem gängigen Leistungs­denken auszubrechen, fühle ich mich solidarisch mit anderen Ge­nerationen.

 

10.       Ich möchte mich aufgehoben fühlen in einer tragenden Gemein­schaft, die Geborgenheit vermittelt, Angst verarbeiten hilft und vor der Ab­drängung in die Ghettoexistenz bewahrt.

 

11.       Ich will mein Älter- und Altwerden als Prozess erfahren, Grenzüber­schreitungen mit allen ihren Konsequenzen leben. Ich will meine Ängste davor aussprechen dürfen, ohne allzu rasch getröstet zu werden. Ich er­warte von der Gesellschaft, dass sie die Schönen und dunklen Seiten die­ser Grenzüberschreitung respektiert. Nur wenn ich diese Möglichkei­ten habe, kann ich mich vorbereiten auf die letzte Grenze, das Sterben. Dazu brauche ich das Aufgehobensein bei Menschen; es ermöglicht mir ein letztes Aufgehobensein bei Gott.

 

12.       Da in unserer Gesellschaft jugendbezogene und leistungsorientierte Werte dominieren, muss ein menschenwürdiges Altwerden in unserer Zeit bewusst gelernt werden. Ich wünsche mir eine Bewegung von Men­schen in der zweiten Lebenshälfte, in der Solidarität wachsen kann. Die hier formulierten Menschenrechte sind in diesem Sinn ein Lernprogramm.